Riesling von der Loire

April 10, 2008

Chenin blanc – zwischen Kult und Massenwein“ lautet das Thema der diesmal von originalverkorkt veranstalteten Weinrallye. Chenin ist Weinrallyedie veilleicht zickigste aller weißen Rebsorten überhaupt, die bei entsprechendem Engagement im Weingarten große, ja Kultweine liefert, leider aber auch sehr viel nichtssagende Massenware, teils unter anderem Namen wie Steen in Südafrika bekannt. Mir geht’s aber um klassische Chenins von der Loire, die ich immer gerne mit Rieslingen vergleiche: beide Sorten sind ausgesprochen säurelastig, vertragen eine gute Portion Restzucker, ergeben mitunter grandiose Süßweine, reifen hervorragend und sind für mit ihrer oft puristisch-mineralischen Note die weißen Terroirweine schlechthin.

Ganz interessant waren auch meine ersten ernstzunehmenden Begegnungen mit Chenin: als Sauvignon-blanc-Freund und (damals) regelmäßiger Biarritz-Urlauber war ein ausgedehnter Zwischenstop an der Loire natürlich Pflicht, die A10 zwischen Paris und Bordeaux führt bei Tours über die Loire, nicht unweit von Kultstätten wie Vouvray oder Montlouis vis-à-vis. Nur gab’s dort keinen Sauvignon sondern Chenin, und nach ersten Besuchen auf der Domaine Huet und bei Jacky Blot hatte ich auch kein Verlangen mehr nach Sancerre oder Pouilly-Fumé flußaufwärts, im Gegenteil, ich erkundete die Landschaft flußabwärts auf der Suche nach weiteren originellen und spannenden Chenins.

Zwei Chenins waren es, die mir im letzten Monat untergekommen sind und die es mir besonders angetan haben. Zum einen waren es die glasklaren, geschliffenen Crémants von Château Tour Grise, die ich im Rahmen einer Biodynamie-Verkostung in Düsseldorf kennenlernen konnte. Dummerweise hab‘ ich damals meinen Verkostungsblock liegengelassen, sodass ich nicht im Detail darauf eingehen kann. Das ist vielleicht auch der wesentliche Unterschied zum Riesling, der sich, deutscher Winzersekt hin oder her, weniger gut zur Versektung eignet. Oder ist’s nur die größere Erfahrung?

Und dann war es der 01er Saumur blanc ‚Brézé‘ von Clos Rougeard, der Brézémich letzten Samstag in einer legendären Verkostung von neun Naturweinen, über die hier noch gesondert berichtet wird, als einer von nur drei Vertretern mit ihrer mitunter avangardistischen Machart überzeugen konnte. Von Beginn an klar und transparent mit einem viel zu selten erlebten Mouthfeeling. Ich nutze ausnahmsweise Auszüge aus der treffenden Beschreibung meines Sitznachbarn und gleichzeitig Organisators dieses richtungweisenden Flights, die es auf den Punkt bringt und der nichts mehr hinzuzufügen ist:

„Knochentrocken, dicht, seidig und kompakt und in höchstem Maße komplex. […] Weißwein für erfahrene Rotweintrinker. Grenzüberschreitend und Horizonte erweiternd. Chenin Blanc in seiner ganzen Bandbreite. […] Gelbe Gewürze, Safran, Kardamom, Curry, reife Äpfel und Birnen, Lindenblüten, morbide Herbstfeuer und verblühendes Leben. Wein, mit dem man sprechen kann und der zu einem spricht. Erfahrung, Erlebnis, Erleben. Naturwein in rarer Perfektion für besondere Stunden und Sentimente.“

In dieser Ausprägung ist Chenin definitiv rarer Kultwein für Intellektuelle fernab jeglicher Massenware.

6 Responses to “Riesling von der Loire”

  1. wolfhos Says:

    Volltreffer würd ich sagen…

  2. pivu Says:

    Den „Volltreffer“ hätten gestern fast Schusters Erben aus Getafe gelandet, bis der warum-auch-immer-noch-nicht-vom-Platz-gestellte Luca Toni zurückschlug. Aber der zur Verlängerung aufgemachte 02er ‚Laubach‘ (damals noch ‚Uhlen L‘) von Reinhard Löwenstein, seinerzeit als bester ausländischer Wein in Bordeaux ausgezeichnet, war der eigentliche Volltreffer.

  3. Christoph Says:

    So eine Verkostungsnotiz hätte ich dem Savinnière de Roche aux Moines auch gerne zu Teil werden lassen. Erwartet hatte ich es denn ich habe schon solch denkwürdige Augenblicke mit ihm erlebt. Leider nicht vorgestern.
    Und der Dusel, den die Bayern haben… Ohne Worte.


  4. […] pivu von six-to-nine hätte gerne eine Verkostungsnotiz des Crémant von Château Tour Grise beigesteuert, allein, im fehlte die Aufzeichnung. […] Wenn wir uns weiter in diesem Landstrich bewegen und zu dem kommen, was ich im Vorfeld als Kult bezeichnet hatte komme ich noch mal auf pivu zurück.Was er kürzlich im Glas hatte ist nicht zu verachten und sei hier noch mal zitiert: »Knochentrocken, dicht, seidig und kompakt und in höchstem Maße komplex. […] Weißwein für erfahrene Rotweintrinker. Grenzüberschreitend und Horizonte erweiternd. Chenin Blanc in seiner ganzen Bandbreite. […] Gelbe Gewürze, Safran, Kardamom, Curry, reife Äpfel und Birnen, Lindenblüten, morbide Herbstfeuer und verblühendes Leben. Wein, mit dem man sprechen kann und der zu einem spricht. Erfahrung, Erlebnis, Erleben. Naturwein in rarer Perfektion für besondere Stunden und Sentimente.« Er redet von einem 2001er Saumur Blanc Brézé von Clos Rougeard und beschreibt all die Primär- und Sekundäraromen die ich idealer Weise einem loiregeprägten Chenin Blanc höchster Güte zuschreiben würde. Hinzu kommt noch die klare und präzise Säurestruktur die den Chenin vom Sauvignon und Chardonnay wegbewegt und dem Riesling annähert. Weshalb pivu seinen Artikel auch mit Riesling von der Loire überschrieben hat. […]

  5. duni Says:

    Bei mir gabs heute abend lustigerweise einen 94 von Joly, Clos de la Bergerie.
    Ich bin jedes Mal wieder erstaunt&entzückt, wie sich Chenin blancs nach ein paar Jahren im Keller präsentieren. Natürlich verunsichert der schmierig-schwarze Kork, die Sherrynase zu Beginn und das Depotgebrösel,aber nach ein paar Stunden in der Karaffe am Balkon zeigt sich ein vielschichtiger, reicher Weißwein von einer schwer zu beschreibenden Größe.

  6. pivu Says:

    Ist’s die Rebsorte, ist’s der Ausbau, die Philosophie, ich weiß es nicht. Bestimmte Weine brauchen einfach Zeit im Glas und im Kopf (!), um sich darauf einzulassen und sie zu verstehen, und das ist auch gut so. Nicolas Joly und seine „Jünger“ gehören definitiv dazu.


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