Punktewahnsinn (6)

Mai 26, 2006

Warum also sind Punkte so populär? Einerseits kann man, sogar ohne den Wein zu kennen, wunderbar darüber streiten und ein Weinmagazin nach dem anderen nur damit füllen, andererseits sind sie ein Spiegelbild der zunehmenden Banalisierung unseres Geschmacks.

Wo aber bleibt der Mut zum eigenen Geschmack? Der geht genauso verloren wie der Mut, sich zu artikulieren. Sogar anerkannte Weinprofis nutzen ein sehr eingeschränktes Vokabular aus nur wenigen Wörtern wie süß, fruchtig, klar, frisch, weich, hat Biss und Würze, ist eindringlich und gut, und nutzen dieses mal in dieser, mal in jener Reihenfolge, egal ob weiß oder rot, süß oder trocken. Produktiv ist das allemal. Schnell entsteht der Eindruck, dass der Autor Worte wie Punkte einfach auswürfelt, oder deren Verteilung gar vollautomatisch passiert, wie sonst wären auch mehr als 6.000 Weine durch eine einzige Person in einem Jahr seriös zu bewerten.

In die gleiche Kerbe schlägt aktuell Deutschlands wohl „buntester“ Weindealer Martin Kössler unter dem Titel „Genug der leeren Phrasen – Neue Worte braucht der Wein!“ in gewohnt provokanter Manier. „Wein war und ist Kommunikation“, erinnert er uns da an die Pre-Parker-Ära, um danach streng den Finger zu erheben: „Ausgerechnet im Zeitalter der Kommunikation stoßen wir kommunikativ an Grenzen. Durch die neuen Medien ist Kommunikation nicht nur schnell geworden, sondern auch beliebig, vor allem aber quantitativ.“ Recht hat er!

Die traurige Konsequenz all dessen wird auch schon angeführt: „… auch der Wein selbst ist längst so belanglos geworden wie ein Großteil der vermeintlich kommunikativen Worte über ihn.“ Und einmal in Fahrt gekommen, ist er kaum mehr zu halten: „Wein ist zur Massenware geworden, beliebig verfügbar, stilistisch globalisiert, dem Geschmack des unkritischen weil uninformierten Verbrauchers auf die Zunge maßgeschneidert. Angepriesen in allen verfügbaren Adjektiven, zumeist im Superlativ, mit all den Übertreibungen, derer die Sprache der Werbung mächtig ist. Worte über Wein sind so wertlos geworden wie Wein billig. Während Wein populistische Geschmacksvereinheitlichung als Folge rasanter Beschleunigung gedankenlosen Konsums erlebt, verkommen die Worte über ihn zu gedankenleeren, plakativen schnellen Hülsen ohne Inhalt.“

Zum beliebigen, opportunistischen Punkteverteilen gesellt sich ein noch viel beliebigeres, armseliges Worteverteilen, was immerhin zu einem zweidimensional digitalen Geschmack selbsternannter Weinexperten führt. Das nenne ich Fortschritt, Prost!
tbc

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