Deutsche (W)einheit

Oktober 3, 2007

Ganz Deutschland feiert heute den Tag der Deutschen Einheit, im Osten wie im Westen, das jedenfalls wollen uns Jahr für Jahr die führenden Politiker des Landes einreden, egal welcher Couleur. Auch beim Wein gibt es eine „deutsche Weinkultur“, das behauptet ausgerechnet ein Engländer in seinem neuen monumentalen Werk „Wein spricht Deutsch“.

Stuart Pigott stellt eine ebenso faszinierende wie gewagte These auf: Deutschland, Österreich, Südtirol, die Schweiz und das Elsass seien weintechnisch grenzüberschreitend als ein Kulturraum zu sehen! Diese basiert freilich auf ähnlich dünnem Eis wie die Deutsche Einheit selbst. (Ein Blick auf die Straßen genügt.) Als ob es das hier einmalige „vorbehaltlose Bekenntnis zur Reinheit und Eigencharakter im Wein“ nicht auch woanders gäbe. Ist nicht gerade dies eine jahrhundertealte Errungenschaft des Burgunds? Und versucht man nicht andererseits internationale Trends wie den Ausbau in Barriques oder die Adaption moderner Kellertechnik zu kopieren? Sind auch in Mitteleuropa immer häufiger anzutreffende Rebsorten wie Cabernet Sauvignon, Syrah, Chardonnay oder Sauvignon blanc etwa deutsch?

Leichtweine sollen ein Kriterium sein, Erfolg und Bekanntheitsgrad der sich am französischen Modell orientierenden ERSTE LAGE Klassifikation des VDP sprechen eine andere Sprache. Und warum berichtet man in den Abschnitten zur Wachau oder Steiermark zum geschätzten 117. Mal über die immer gleichen Namen und deren immer alkoholträchtigere Weine? Neue Trends, ausgehend von innovativen Winzern, und Weine, die zunehmend Furore machen und tatsächlich leichter im Alkohol sind, werden ignoriert.

Gerade die Grenzländer des deutschen Sprachraums orientieren sich zunehmend nach außen, also in die entgegengesetzte Richtung. Das ist nicht außergewöhnlich, wenn man weiß, dass schon die Wurzeln einer gemeinsamen Weinkultur z.B. für das Burgenland in Ungarn und nicht in Deutschland liegen. Die Steiermark und deren Weine aus vornehmlich französischen Rebsorten gibt es auch in Slowenien, weintechnisch orientiert man sich dort zunehmend an Nordost-Italien, wie auch die Südtiroler ihre Produkte lieber als italienische als deutsche oder österreichische Gewächse sehen. Und dass die Schweizer zusammenhalten bevor sie sich den Nachbarn im Norden oder Osten zugehörig fühlen, sollte sich auch bis Berlin herumgesprochen haben.

Richtig kurios wird es erst, wenn man die angeblich gemeinsame Weinkultur um Trink- und Lebenskultur erweitert. Was hat ein kampftrinkender Kegelverein aus dem Ruhrpott an der Mosel mit Falstaff– oder Vinaria-bewaffneten Besserwissern an der Donau oder dem traditionellen Törggelen in Südtirol gemein? Oder haben die Autoren dort nur radlfahrende und mountainclimbende Touristen angetroffen?

Sorry, ich kann keine gesamtdeutsche Weinkultur erkennen, im Gegenteil, diese gemeinsame Identität geht zunehmend verloren. Auch am 3. Oktober bleibt sie Wunschtraum eines ausländischen Moselriesling-Anhängers. Wenn nicht gerade wieder ein Fußball-Großereignis stattfindet.

Bildquelle: Stuart Pigotts Weinwelt

8 Responses to “Deutsche (W)einheit”

  1. Armin Says:

    Aber, aber pivu

    Zitat:„Richtig kurios wird es erst, wenn man die angeblich gemeinsame Weinkultur um Trink- und Lebenskultur erweitert. Was hat ein kampftrinkender Kegelverein aus dem Ruhrpott an der Mosel mit Falstaff- oder Vinaria-bewaffneten Weingenießern an der Donau oder dem traditionellen Törggelen in Südtirol gemein?“

    Jetzt bist Du aber schon sehr platt und polemisch, sind alle Österreicher Weingenießer, wird dort nichts gesoffen? Ich bin ja gern bereit zuzugestehen, dass in Deiner Heimat Essen und Trinken einen höheren Stellenwert haben als in Deutschland, aber nicht alle Kegelclubs sind dumpfe Alkoholiker und nicht jeder Österreicher ist der verfeinerte Ästhet. Und beim „traditionellen“ Törggelen findet man glaube ich mehr Deutsche als Einheimische, zumindest wollte es mir vor 10 Jahren so scheinen.

    Und natürlich gibt es eine gemeinsame Weinkultur im deutschsprachigen Raum, ob das heute noch trägt, ob sich das eher abschwächt oder wieder stärkt kann man diskutieren, sie aber pauschal zu verneinen ist sicher nicht richtig.

  2. pivu Says:

    Ausnahmen bestätigen die Regel, und die lautet für den deutschen Sprachraum nunmal je weiter im Norden desto mehr Aldi, je weiter im (Süd)Osten, desto mehr Besserwisser, je weiter im Süden, desto mehr einfacher Genuss. (Du weißt ja, woher ich komm‘.) Gemeinsamkeiten kann ich da nur sehr wenige erkennen.

    Im übrigen müssen „Saufen“ und „Genießen“ einander nicht ausschließen.

  3. Gotorio Says:

    Ach, wenn es nur das wäre, was an dem Werk stört. Eine These, und sei sie auch gewagt, durchzuhalten, ist ja eher schön. Aber wer mag denn einen solchen Wälzer über Schiefer- und Kieselvarianten lesen. Schwäääre Koooost, um es mit den Klitschkos zu sagen. Und ein grauenvoll schlechter Serviceteil. Mehr dazu: „Wein spricht Deutsch“ – und Deutsch ist schwer.

  4. pivu Says:

    Das fehlt uns noch, dass die Klitschkos jetzt nach Milchschnitte („Weißt Du noch früher …“) auch in Wein machen. Das wär‘ wohl ähnlich „grausam“ wie deren Blinis mit „viel dicke Hefe“, für den Engländer Mr. P. aber sicher ein klassischer deutscher Wein. Schließlich gibt’s auch in der Ukraine deutschsprachige Enklaven.

    In der heutigen FAS findet man übrigens eine sehr wohlwollende und unkritische Rezension dieses Monsterwerks, die eigentlich nichts anderes als eine Abschrift der Aussagen von Verlag und Autor ist. Kein Wunder, will doch die FAS auch künftig jeden Sonntag Stuart Pigotts Weinkolumne veröffentlichen.

  5. Frohnau Says:

    Was mich interessieren würde – wo finden sich denn die Erzeuger, die spannungsreiche, differenzierte und nicht nur anstrengende Weissweine mit unter 12 % im trockenen Bereich erzeugen (gehört Söllner in Österreich dazu)? In D fällt mir dazu eigentlich nur Kühn jahrgangsbedingt ein – die Inseln im mainstream der alkoholreichen Weine, die sich allenfalls mit einem Hinweis auf die klimabedingten Veränderungen und damit unvermeidlich einhergehend höheren Alk.-Grade entschuldigen (wenn überhaupt – Ruck sen. hat das dieses Jahr getan) wollen sich mir noch nicht entschliessen.
    Pigotts Bücher-Veröffentlichungsfrequenz verhält sich marktkonform – wenn denn fundierte und wohldurchdachte Bücher über Weine nicht weniger Zeit brauchen als die dort hervorgehobenen Weine, lassen sich Konformitäts- und Verflachungstendenzen kaum vermeiden. Pigott und seine von der Reputation her mir zweifelhaft erscheinende Co-Autoren (samt unvermeidlicher Ehefrau)haben nach grober Durchsicht ein eher feuilletonistisch geprägtes Werk mit viel verbaler Schaumschlägerei und wohlmeinender Amateur-Attitüde geschaffen, dessen ambitionierter Preis alsbald viele Sonderangebote und deutliche Preisreduktionen nach sich ziehen wird, deren danach verbleibende Substanz noch so zweifelhaft bleiben wird wie die Kaufwürdigkeit von Weinen etwa nach Preisherabsetzungen bei Hawesko.

  6. pivu Says:

    Gerade hab‘ ich einen solchen, allerdings roten, im Glas: Blaufränkisch ‚Hochegg‘ 2005 von Karl Schnabel aus dem Sausal in der Südsteiermark. 11,5 % Alc, demeter, und das Martini-Gansl packt er auch mühelos. Diesen oder auch andere ähnlich denkende Winzer in der Steiermark, die Charakter vor Alkohol stellen, hat Chandra Kurt, ihrerseits verantwortlich für diesen Part im Buch, selbstverständlich übersehen.

    Aber es ist richtig, diese Weine sind selten. Sogar Emmerich Knoll, früher einmal der Tradionalist in der Wachau, sagte sinngemäß, man müsse dem internationalen (= nicht-deutschen) Trend Tribut zollen und alkoholstärkere Weine erzeugen. Schmecken tun sie mir seit einigen Jahren freilich immer weniger. Stephan Reinhardt zum Beispiel, auch einer der Co-Autoren, verriet mir im Gespräch, dass er genauso wie ich jegliche Dynamik zum Guten in der Wachau vermisst. Aber auch dort wird man fündig, z.B. bei Sepp Gritsch, besser bekannt als „Graben-Gritsch“, in Vießling im äußersten Westen der Wachau mit wunderbaren Federspielen um die 12% Alc.

    Aber selbst, wenn man es wollte, wurde es in den letzten Jahren zunehmend schwieriger. Auch bei Toni Söllner: sonst um die 12% liegen die 06er 0,5 bis 1% höher im Alkohol.


  7. […] es diese “Deutsche (W)einheit” nicht gibt, habe ich zu meinen Anmerkungen zu Stuart Pigotts Schmöker ja  schon […]

  8. gottfried Says:

    wow, der artikel geht hart ins gericht.
    es ist richtig, burgenland hat historisch mehr mit ungarn gemein als mit dem rest der deutsch-sprachigen regionen. auch die steiermark war mal eine k&k einheit mit slowenien. deshalb ist warscheinlich wirklich das einzige das alle deutsch sprachigen regionen im wein gemeinsam haben lediglich die sprache. und da verstehen sich nicht mal alle untereinander.
    es ist tatsächlich so, dass wenn man das echte sucht in der steiermark nicht an den bio-dyn winzern vorbeikommt. das wissen leider nur erst wenige.


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