Pfälzer Jugendstil

September 9, 2009

Weingut DeinhardEine meiner Entdeckungen der diesjährigen Gutswein in Berlin war das Weingut von Winning aus der Pfalz. „Von Winning?“ – noch nie gehört, ein neuer Stern am deutschen Weinhimmel? Weit gefehlt, dahinter verbirgt sich das alteingesessene Weingut Dr. Deinhard in Deidesheim. Dieses gelangte im letzten Jahr nach von Buhl und Bassermann-Jordan als letztes im Bunde der großen Drei aus Deidesheim in den Besitz des Pfälzer „self-made-man’s“ Achim Niederberger, der sich einst mit Bandenwerbung in Fußballstadien einen Namen machte.

Dr. Deinhard heißt also jetzt Weingut von Winning, genauso, wie es bereits vor mehr als 100 Jahren geheissen hat, benannt nach dem damaligen  Inhaber Hauptmann Leopold von Winning, der extrem für die Qualität des deutschen Weins eintrat. Ein ähnlicher Qualitätsfanatiker ist der neue Gutsverwalter Stephan Attmann, der wohl an erster Stelle für den rigorosen Richtungswandel und die Güte der als von Winning bezeichneten von WinningWeine verantwortlich zeichnet. Die sind nämlich noch in der Minderzahl, weiterhin werden 90% der Weine unter dem etablierten Namen Dr. Deinhard vermarktet, die beinahe banal im Vergleich zu den von Winning Gewächsen wirken. Während diese seit eh und je keiner weiteren Erwähnung bedurften, verspricht schon die edle Aufmachung in schweren Flaschen mit hochwertigen „Jugendstil“-Etiketten luxuriöse Qualität in traditioneller Machart der neuen Weinlinie. So mancher ist freilich irritiert und erstaunt und ordnete die Weine sichtlich überfordert als „untypisch“ und „barock“ ein. Doch wo sonst als in der Mittelhaardt darf ein deutscher Riesling „barock“ schmecken, ist gerade dieser Rieslingtypus nicht auch typisch und einmalig für die Pfalz, wo es deutlich wärmer als in den nördlichen Flußtälern ist?

Wie schmecken nun die Weine? Diametral anders als das, was man bisher aus dem Dr. Deinhard’schen Gutskeller gewohnt war,  da ist Leben, da ist Spannung, es sind wilde und ungezügelte Unikate wie manch große Kunstwerke vergangener Epochen, auch wenn ich mir hie und da noch mehr Präzision wünschen würde, die sich aber noch ausbilden mag. Die Trauben stammen aus eigenen Parzellen und werden nach weiterer Selektion ungekühlt und spontan vergoren, der fertige Wein wird nach längerem Hefelager ohne Pumpe und ohne Schönung abgefüllt. Als Beispiel soll folgene Tasting Note eines von drei Großen Gewächsen dienen:

‚Kalkofen‘ 2008
Weingut von Winning, Deidesheim, Pfalz
von Winning - Kalkofen' 2008 penetrante Holznote gewagte Stilistik Stuart Pigott
Typische Sponti-Nase mit Noten von reifen Äpfeln, Wasser- und Honigmelonen, leicht rauchig. Im Mund etwas rau mit gutem Biss, gewisse Fülle eingefangen von strenger und kühler Mineralität, lebendig, ungemein animierend mit hervorragender Tanninstruktur auf der Zungenmitte, leicht karamellig im langen, finessenreichen Abgang. „Bello e impossibile“ und Gianna Nannini kommen mir in den Sinn (92+).

9 Responses to “Pfälzer Jugendstil”


  1. […] in seinem Six-to-Nine-Blog, der mich auf die, sagen wir mal Premiumlinie der Weinguts Dr. Deinhard aufmerksam gemacht hat. Von Winning hieß der engagierte Gründer des Gutes und nach ihm hat der neue Gutsherr es auch […]


  2. Habe ein Von Winning-Probenpaket im Keller, bin schon sehr gespannt…

  3. pivu Says:

    Interessantes statement heute von Stuart Pigott in seiner sonntäglichen FAS-Kolumne („Die Großen und Ersten“), die ja „nicht genug Platz bietet, um beim großen Gezwitscher mitzumachen“ [um die 08er GGs bzw. EGs]. Als einziges beim Namen genanntes problematisches GG nennt der britische Moselfan ausgerechnet den ‚Kalkofen‘ von von Winning und moniert eine „zu gewagte Stilistik“ mit einer „penetranten Holznote“!

    Wer ein, zwei Absätze später die immer langweiliger werdenden Weine (weil an der Grenze zu halbtrocken, bonbonig-primärfruchtig und eben nicht gewagt vinifiziert) von z.B. Dönnhoff, Wagner-Stempel, Flick oder gar Spreitzer als seine Jahrgangsspitzen herausstellt, kann freilich nichts mit von Winning anfangen. Ich schon, dafür umso weniger mit Pigotts Darlings.


  4. Da ich ebenso wenig mit den von Winning Weinen auf Eberbach anfangen konnte, werd‘ ich mir nächste Woche mal was holen, ich hoffe, das Weingut hat noch was. Muss nächste Woche eh zum Theo Minges.

    • pivu Says:

      Kein Problem, wenn jemand von Winning nicht mag, auch nicht zugunsten mainstreamkompatibler Langeweile, wie man sie auch aus dem Hause Dr. Deinhard kannte. Aber jegliches Risiko und neue Wege a priori zu verdammen und eine sicher nicht vorhandene penetrante Holznote in den ‚Kalkofen‘ hineinzuinterpretieren, das ist ein starkes Stück. Ob Pigott jemals mit einem Vertreter des Weinguts gesprochen hat? In Eberbach war keiner da, und in Berlin oder Speyer war Pigott nicht da.

  5. Peter Vondung Says:

    Hier bist aber Du es, der maßlos übertreibt:

    1. es wird nicht verdammt,
    2. schon gar nicht jegliches Risiko/Experiment,
    3. auch mir waren die Tannine für einen Riesling zu dominant. Ob das vom Holzfass oder durch eine etwas zu lange Maischestandzeit gekommen ist, ist mir bei der Beurteilung egal.
    3. die von Pigott erwähnten positiven Beispiele gelungener 2008er, die ich verkostet habe, fand ich überhaupt nicht langweilig.

    Über Geschmack lässt sich bekanntermaßen streiten. Wer so abgefuckt ist, dass ihn nur noch die außergewöhnlichen, um nicht zu sagen perversen Reize anmachen, der hat natürlich mit dem Geschmack und den Vorlieben der breiten Masse der „normal“ Empfindenden, die Stuart Pigott im Auge hat, nicht mehr viel gemein.
    Ich fand den Kalkofen durchaus interessant aber nicht kaufenswert. Gekauft habe ich von Schäfer-Fröhlich, der mir viel mehr Genuss verspricht.
    Übrigens… Das haben Experimente so an sich, dass sich viele als Irrwege erweisen, die sich nicht lohnen, weiter verfolgt zu werden. Ich denke z.B. an den Rieslingausbau in Barriques.
    Meines Erachtens spiegeln die aufwändigen Flaschen und die extravagante Aufmachung, die bei von Winning verwendet werden, eine Exklusivität vor, die nur verblendet. Wahre Größe braucht eine solche Aufmachung nicht.

    • pivu Says:

      Zum wiederholten Male, ich bin wirklich der letzte, der etwas gegen „andere“ Geschmäcker einzuwenden hat, aber was Mr. P. hier abzieht, und das sind eben nicht nur Gedanken zu überlebenswichtigen Nebensächlichkeiten, sondern das tut er im Rahmen einer bezahlten Kolumne in einer der führenden Zeitungen Deutschlands, ist für mich eine mehr als persönliche Attacke gegen eine der talentiertesten Weinpersönlichkeiten im Land, und darum geht’s mir. Das hat er m.W. in der Vergangenheit erst ein einziges Mal getan, und zwar gegen niemand Geringeren als Hans-Günther Schwarz (!), und der sollte nun wirklich außerhalb jeglicher Diskussion stehen. H.-G. Schwarz berät btw von Winning, wie viele andere Betriebe auch.

      Ob ein Wein als „pervers“ zu bezeichnen ist, der in der seriösen Weinwirtschaft 95 Punkte erhielt (und in der Pfalz damit top gleichauf mit ‚Kastanienbusch‘ von Rebholz und ‚Kirchenstück‘ von Buhl ist, in ganz D gab es nur einen höher bewerteten Wein (von Wittmann)), und der wie die warmen Semmeln verkauft wird und aktuell z.B. in der konservativen Schweiz riesig einschlägt, glaube ich nicht. Kein Problem, wenn jemand ihn nicht mag, ihn aber aufgrund „zu gewagter Stilistik“ a priori zu verdammen, das gefällt mir nicht. Und ohne Wagnis gäbe es heute keine Weine von Coche-Dury, von Kistler, von Stephane Tissot, von Edi Kante, der mittlerweile wieder fast Mainstream unter anderen Revoluzzern ist, und was hätte Pigott vor 40 Jahren wohl über Henri Jayer geschrieben.

      Später noch mehr dazu.


  6. […] ist noch gar nicht so lange her, da habe ich bei pivu einen Artikel über die Rückbesinnung des Deinhardschen Weingutes auf alte Werte und alte Namen […]


  7. […] Noch stärker ausgeprägt sind solche Divergenzen z.B. bei Kühn oder von Winning (remember Pigott und „penetrante Holznote“) oder zumindest früher bei Heymann-Löwenstein. Der eine liebt Authentizität und Terroir, der andere Reintönigkeit und Frucht […]


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