Punktewahnsinn (10)

November 19, 2009

Seit Mittwoch ist die neue Ausgabe des führenden deutschen Weinführers Gault Millau nun auch offiziell im Handel, nachdem sein vereinzeltes Erscheinen letzte Woche einiges an Irritationen ausgelöst hat. Als bester deutscher Riesling wird dort das ‚Kirchenstück‘ von Bürklin-Wolf geführt, der mit 96 Punkten am Prädikat Weltklasse kratzt. Auch einige geschätzte Weinfreunde sahen diesen Wein an der Jahrgangsspitze. Erstaunlicherweise erhält der gleiche Wein im zweitwichtigsten Weinführer des Landes gerademal 89 Punkte, genauso viel oder wenig wie beim führenden Online-Portal wein-plus, der Feinschmecker meint zu Bürklin-Wolf gar „mehr als durchschnittliche Qualitäten bieten die 2008er Weine nicht“. Ich selbst sah Bürklin-Wolfs ‚Kirchenstück‘ in diesem Jahr bei 91+, und damit schwächer als im Vorjahr vor allem aufgrund der heuer zu deutlich wahrnehmbaren Restsüße.

Wer hat nun recht oder unrecht?

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Punktewahnsinn (9)

April 28, 2007

Es scheint so, dass ich nicht mehr der einzige Rufer in der Wüste gegen den inflationären Punktewahnsinn bin, und sich nach und nach eine Gegenbewegung formiert. So gab’s im Rahmen der diesjährigen ProWein einen RoundLongtable mit wichtigen Kritikern, Medienprofis und Händlern zum Thema „Päpste und Punkte“ (nachzulesen in der aktuellen Vinum). Hier einige Bonmots aus dieser Diskussion:

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Punktewahnsinn (8)

August 9, 2006

Soweit kann’s also kommen, wie der abwechselnd Ott-drinking, free-jazzing und fast-running (oder war’s fast-drinking?) Arthur Landwein hier feststellt. Jetzt fehlt nur noch, dass Deutschlands größter Weinhändler ALDI wie so oft mit eigenen Maßeinheiten arbeitet und das selbstverständlich ultimative 120-Punkte-System (© Markus del Monego) einführt und Sileni & Co degradiert.
tbc

Punktewahnsinn (7)

Mai 31, 2006

Was für Spielereien man mit Punkten noch anstellen kann, nämlich z.B. Kritiker untereinander vergleichen, wird seit gestern unter dem inhaltsreichen Titel 734.825 Punkte in Traubing diskutiert. Ohne weiteren Kommentar, danke aber an den Autor für die beinahe wissenschaftlichen Erläuterungen.

Nur soviel: der sich ergebende „Korrelationskoeffizient“hier wurde ja schon darauf hingewiesen, dass „Mathematiker echte Profis herausfordern“ – ist also nichts anderes als eine Art Handicap beim Golf! Dort spricht man auch von Platzreife, hier ab sofort von der „license to publish“. Mit aussagekräftigen Weinbeschreibungen wäre so etwas nie möglich.
tbc

Punktewahnsinn (6)

Mai 26, 2006

Warum also sind Punkte so populär? Einerseits kann man, sogar ohne den Wein zu kennen, wunderbar darüber streiten und ein Weinmagazin nach dem anderen nur damit füllen, andererseits sind sie ein Spiegelbild der zunehmenden Banalisierung unseres Geschmacks.

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Punktewahnsinn (5)

Mai 8, 2006

Robert Parker vergibt erstmals 100+ Punkte an einen Wein und sprengt damit sein eigenes, weltweit adaptiertes Bewertungssystem. „Skandal“ heult die blutlechzende Meute von Weinkritikern und solchen, die sich dafür halten! Nach dem Genuss der 3. Magnum im Alkoholbereich zwischen 15 und 16% Alc kann selbst dem großen Meister dieser Fauxpas schon passieren. Aber ist es wirklich „skandalös“, in einem System, das sich am amerikanischen Schulnotensystem orientiert, mit Begriffen wie „mit Auszeichnung“ oder „summa cum laude“ zu operieren? Vor allem, wenn die story nicht im seriösen „Wine Advocate“ sondern in einer Publikation mit dem vielversprechenden Namen „Hedonist’s Gazette“ erscheint?

Nur zur Vollständigkeit sei das corpus delicti erwähnt: es handelt sich um einen 2003er Châteauneuf du Pape, die ‚Cuvée da Capo‘ der kultigen Domaine de Pégaü (aus der Magnum). Wie der Wein en detail geschmeckt hat und beschrieben wird, interessiert leider die wenigsten.
tbc

Punktewahnsinn (4)

April 17, 2006

Äußerst unterhaltsam sind sie ja, die in aller Öffentlichkeit ausgetragenen soap-operas untereinander zerstrittener und aufeinander eifersüchtiger Weinjournalisten. Umso erstaunlicher finde ich die ständig wachsende Zahl von Nebendarstellern, also privaten Weinliebhabern, die Wein nicht (nur) mehr trinken wollen, sondern, wie hier schon angedeutet, primär degustierten und bewerten müssen. Damit nicht genug, gleichzeitig führt auch jeder Weinamateur sein eigenes und selbstverständlich ultimatives Bewertungssystem ein.

Apropos „Bewertungssystem“, als ob es davon nicht schon genug gibt. Da werden Weine anhand einer 100er-, 20er- oder 10er-Skala, und es gibt sicher noch mehr, bewertet, andere vergeben Gläser, Sternchen oder Kellerkatzen. Und selbstverständlich gibt’s innerhalb der einzelnen Systeme erhebliche Unterschiede, so können z.B. 80 Punkte in System A schon „sehr gut“, in System B gerade „barely above average“ bedeuten. Noch verwirrender gestaltet sich der Versuch der Umrechnung aus dem 100er- beispielsweise in das 20er-System: aus den 80/100 Punkten werden dann 12/20 bis 16/20 Punkten. Würfeln ist einfacher und ähnlich aussagekräftig. Kein Wunder, dass bei all dem Durcheinander Mathematiker echte Profis herausfordern und der Weingenuss sukzessive abhanden kommt.
tbc

Punktewahnsinn (3)

April 12, 2006

Nicht immer sind hohe Punkte gleichbedeutend mit hoher Qualität. Wen interessiert in der allmählich zum multinationalen Medien- und Wirtschaftsspektakel verkommenden Bordeaux-Weinwelt überhaupt noch die vorhin schüchtern angesprochene Seriosität?

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Punktewahnsinn (2)

April 11, 2006

Fast könnte man professionelle Weinverkoster mit Punkte- oder Kampfrichtern beim Eiskunstlauf, Tanzen, Boxen oder gar bei Misswahlen vergleichen. Wobei man fairerweise sagen muss, dass voyeuristische Fleischbeschau doch nicht allzu viel mit treffsicherem Weinspucken gemeinsam hat. Eindeutige Sieger gibt es selten, hier wie dort werden „Kärtchen gezückt“, um seinen Favoriten, sei es aufgrund patriotischer Verbundenheit, besonderer Sympathie oder als Gegenleistung für eine kleine Zuwendung richtig in Szene zu setzen, selbstverständlich immer unter Wahrung der notwendigen Neutralität. (Über die legendären „AuWi“-Proben wurde hier schon berichtet.) Vorherige Absprachen beim Sport entsprechen nachträglichen Korrekturen beim Wein, man will sich ja nicht über Gebühr rechtfertigen müssen. Außer es gilt, für besondere Akzente zu sorgen, wie z.B. wein-plus mit der erstmaligen Vergabe von 100 Punkten für einen trockenen Wein aus Deutschland – der gleiche Wein (Künstlers 02er Riesling ‚Hölle Auslese trocken Goldkapsel‘) wurde einige Wochen später in einer Blindverkostung vom selben Verkoster mit 83 (!) Punkten abgekanzelt -, oder mit den Einschätzungen der alljährlichen gerade stattffindenden Primeur-Kampagne in Bordeaux, deren Qualität und Zuverlässigkeit sich entgegengesetzt zum Erscheinungsdatum verhält. Schnelligkeit, der Erste zu sein zählt, das ist bei der Erstpräsentation der Großen Gewächse in Deutschland nicht anders. Wie seriös das alles noch ist, kann jeder selbst beurteilen.
tbc

Punktewahnsinn (1)

April 7, 2006

Ich hab‘ ja nichts gegen das Bepunkten von Weinen. Aber „in all der Verkostungs- und Bewertungseuphorie wird wird gern eines übersehen, nämlich dass Wein als Begleitung zum Essen gedacht ist und nicht ausschließlich dazu, um solo im Glas geschwenkt, erschnüffelt, probiert und befunden zu werden“, wie Weinakademikerin Luzia Schrampf hier mit mahnender Stimme schreibt. Ein von mir sehr geschätztes Weingut meint dazu auch ganz richtig: „Wir machen in erster Linie Wein zum Trinken und fürs Essen“, und weiter: „Für uns muss ein Wein erst nach dem ersten Glas zum Schmecken beginnen.“

Manchmal nämlich nimmt diese inflationäre Punkterei Dimensionen à la „schneller – höher – weiter, wer ist der oder die Schönste im ganzen Land“ an, und das betrifft das zu bewertende Objekt und den eitlen Juror gleichermaßen, die mich an den schrägen Typ dargestellt von Dudley Moore aus dem bald dreißig Jahre alten Film „Ten“ („Zehn – Die Traumfrau“) erinnern. Dieser hatte nichts besseres zu tun, als alle Mädels auf einer Skala von eins bis zehn zu bewerten, um letztendlich der mit der Höchstnote „Ten“ – tatsächlich war’s ja eine Elf – versehenen Bo Derek gänzlich zu verfallen. Der ultimative Genuss zu Klängen von Ravels „Bolero“ hielt sich dann allerdings in sichtbaren Grenzen und erreichte niemals das Niveau noch so kontroverser Diskussionen mit Filmpartnerin Julie Andrews. Auch ohne Punkte.
tbc

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